2009 Nauders

Am Wochenende 20./21. Juni fuhr ich mit A. nach Nauders,Tirol. A ist nicht nur Fan von Bier und Foccacia (wie ich), sondern auch vom Radfahren (ganz im Gegensatz zu mir). So nimmt er auch regelmässig an Radrennen teil, wie dem 3-Länder-Giro, der von Nauders über den Reschenpass, dem Reschensee entlang, über das Stilfserjoch und durch das Engadin wieder zurück nach Nauders führt.
Meistens fährt A. mit seiner Frau, wenn sie aber keine Zeit hat, stelle ich mich als Coach zu Verfügung (oder sagen wir Gesprächspartner, denn allzuviel zu coachen gibt es ja nicht). Wir kamen am Samstag Nachmittag an. Es war bereits viel los, denn am Samstag gibt es noch ein anderes Rennen namens RATA (Race across the alps). A. holte seine Startnummer und wir tranken noch etwas im Festzelt. Er hatte sich noch in letzter Minute umgemeldet, d.h. auf die kürzere Strecke ohne Stilfserjoch, weil er sich nicht ihn Form fühlte. Viele weitere Teilnehmer des 3-Länder-Giro waren auch schon eingetroffen. Doppelt so viele, wie das Dorf Einwohner hat: 3000. Aber immer noch tausend weniger, als es Fremdenbetten hat.
Wir gingen früh Abendessen, alle Restaurants voller… wie gesagt. Tagwacht war um halb fünf, der Start um halb sieben. Ich ging natürlich hin.
Traditionellerweise wird vor dem Start noch ein Stück von AC/DC gespielt, um jene zu wecken, die verschlafen haben. Ob es nützt? Ein bisschen Galgenfrist haben sie ja, denn es geht fast eine Viertelstunde, bis alle durch die Zeitmessungsschranke sind. Und eine Viertelstunde lang hört man das Einrasten den Klickpedale der Startenden.Während sich also eine Prozession von Radfahrern Richtung Italien in Bewegung setzte, sah ich eine andere Art von Prozession (siehe unten). Als ich zum Zielgelände zurückkehrte, kündete der Speaker gerade an, die ersten träfen bald ein. Eine Dreiergruppe, zwei zusammen, der dritte etwas weiter hinten. So kamen sie denn auch an. Die beiden ersten fuhren eine kleinen Schlusssprint nebeneinander und immer noch nebeneinander fuhren sie durch die Zeitmessung: Ein Doppelsieg!
Die Prozession
Als ich mich nach dem Start des Rennens noch etwas hinlegen wollte, ertönte draussen ein lauter Knall. Zehn Minuten später wieder. Also stand wieder ich auf und ging frühstücken. Dass eine Prozession stattfinden würde, habe ich zwar am Vortag erfahren, dass sie aber von Böllerschüssen begleitet sein würde, wusste ich nicht. Die Hotelliere machte mich darauf aufmerksam, dass ich die Hintertüre benutzen müsse, den vor dem Haupteingang stehe der Altar. Der Altar? Das musste ich mir ansehen. Tatsächlich stand ein Tisch mit weissem Tuch, Kerzen und einen Jesusbild vor der Tür. Ich marschierte zur Kirche hinauf (Dorfkirchen sind immer oben) an weiteren Altären vorbei. Oben sah ich dann auch die Prozession. Sie war schon am anderen Dorfende angelangt. Ich ging Richtung Schloss und dort hatten sie auch gerade Halt gemacht. Warum diese Halte erfuhr ich später.
Ich wartete dort, wo Polizisten die Autofahrer zurück auf die Hauptstrasse schickten. Die Strasse am Schloss vorbei, ursprünglich eine Römerstrasse, ist für Vergnügungsfahrten beliebt.
Endlich ging die Prozession weiter. Zuvorderst zwei Bannerträger. Je eines mit einem Bild von Jesus und Maria. Die Banner, ca. 2×3 Meter, waren sicher schwer und der Wind machte den Bannerträgern arg zu schaffen, auch wenn noch je ein Gehilfe mit zwei oben befestigten Bändern das Ganze zu stabilisieren half. Fluchen darf man bei so einer Aufgabe wohl nicht.
Weiter ging es mit den weissberockten Ministranten, dann die Heiligenfiguren auf ihren Sänften. Streng genommen nur eine: Maria, Maria und Maria. Nach hinten schauend. Erst später wurde mir klar, dass die Figuren auf das Zentrum des Zuges blickten.
Es folgten die Dorfmusik, trommelnd, und der Schützenverein mit Beilen und Flinten bewaffnet. Dann kam eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen und, das besondere, ein Mann mit Lautsprechern auf einer Stange. Daraus erklang ein Sermon. Dann das Zentrum: Der Priester im Ornat, in der Hand eine Monstranz, über ihm der Himmel, also ein Baldachin. Der Bürgermeister hatte schon angekündigt, dass er den Himmel tragen dürfe. Die andere drei, nehme ich an, war wohl auch Gemeinderatsmitglieder. Darauf folgten weiter Leute und ein Mann mit Mikrofon. Er also sprach den Sermon (gebenedeit…), es war kein Tonband, wie ich erst vermutete. Ein weiterer Lautsprecherträger beschallte dann das restliche Volk – dazwischen noch einmal eine Marienfigur, diesmal nach vorne schauend.
Als die Prozession passiert hatte, wanderte ich noch etwas durch den untern Dorfteil und kam gerade im richtigen Moment zum Hotel zurück. Die Schützen und die Musik hatten sich gerade auf dem Platz positioniert und die Ministranten vor dem Altar. Auch der himmlische Würdenträger mit seinen vier würdigen Himmelträgern trat zum Altar und stellte die Monstranz darauf. Die Ministranten sangen ein Loblied auf Jesus und der Priester segnete den Altar. Darauf bat er einen Vertreter und eine Vertreterin der Dorfjugend zum Altar, die dort eine Art Gelübde ablegten. (Nein, nicht Keuschheit, einfach Glauben und so.)
Schliesslich luden die Schützen ihre Vorderlader und schossen einen Salut. Danach setzte der Zug seinen Weg Richtung Kirche fort.
Ich setzte meinen Weg auch fort, leicht nachdenklich, denn was ich gesehen habe bleibt mir fremd. Zwar bin ich als nüchterner Protestant aufgewachsen, aber mit der Jesus-People-Bewegung habe ich auch auf reformierter Seite genug Menschen gesehen, die ihre religiöse Ueberzeugung plakativ vor sich hertragen. Ich respektiere das, gehe aber auch gleichzeitig auf kritische Distanz. Genauso zurückhaltend bin ich was meine politische Einstellung oder mein Privatleben betrifft. Eigentlich widerspricht mein Blog dem allen.
Der Speaker begrüsste jeden neu Ankommenden namentlich, sein Laptop war natürlich auch am Zielcomputer angeschlossen. Daneben kommentierte er auch die Musik, die gerade lief. Darunter auch der angeblich neue Sommerhit. Hoffentlich höre ich den nie mehr. Letztes Jahr wurden jede halbe Stunde “all summer long” gespielt, aber das war besser. Zwischendurch schaute der Speaker aber nicht mehr auf den Computer und weil auch ich nicht immer aufmerksam war, verpasste ich A. Er musste mich suchen und fand mich auch. Wir gingen gleich ins Hotel, er duschen, beide packen und auschecken. A. löste noch seinen Pastagutschein im Festzelt ein, ich trank – was wohl – ein Bier und dann machten wir uns auf den Nachhauseweg. Das ganze Wochenende war kühl geblieben und auch am Sonntagnachmittag lud das Wetter nicht zum bleiben ein.