Freitag, 20. November 2009

Twitter, Satire und doch noch Schweinegrippe

Wer twittert, bekommt auch Antwort, manchmal überraschende.
So schrieb ich gestern:
"Wenn ich einen Schweingrippentote zählenden Journalisten totschlage, ist das dann auch ein Schweinegrippentoter?" 
Im Original war noch ein Tippfehler, aber das ist nicht das Thema. Darauf erhielt ich eine Antwort von bisher unbekannter Seite: 
"polenmagazin Hallo, da bin ich, nur zu, ich bin so ein böser Journalist, der seiner Chronistenpflicht nachkommt. Auch wenn er dafür üble Beschimpfungen und sogar Bedrohungen einsteckt wie z.B. in Sachen #Steinbach. Nur zu, wo bleibt die Keule, schlagen Sie mich ruhig tot!"
Jetzt heisst es also tief Luft holen, recherchieren (das was ich ja implizit behaupte, dass es gewisse Journalisten nicht tun) und eine Antwort schreiben. 
Wer hat mir geschrieben? Sie heisst Brigitte Jäger-Dabek und sie betreibt ein Online-Zeitung, eben das Polen-Magazin . Ihr Ziel ist, wie ich es in ihrem Porträt nachlesen kann, den deutsprachigen Lesern das Land Polen näherzubringen. Dadurch verstehe ich jetzt auch den Hashtag "Steinbach". Erika Steinbach ist Vositzende des deutschen Vertriebenenbundes und lehnt die meisten Projekte der deutsch-polnischen Versöhnung ab. Sie ist bei fast allen deutschen Parteien unbeliebt (ausser der CSU). Ablehnung besonders bei der FDP und Aussenminister Westerwelle. Auch Frau Jäger schreibt kritisch über sie und wird offenbar deswegen angefeindet. 
Hier muss ich wohl endlich den Schwenker zu meiner Bemerkung machen. Mein Tweet war eine Satire und in meinen Augen auch als solche erkennbar. So hat Andreas Kläui ein RT gemacht und mit einem frechen "JA" versehen. Ich bin überzeugt, er meint ebensowenig wie ich, dass man jemanden effektiv totschlagen sollte. 
Der Schlüsselbegriff in meinem Tweet ist ja "Schweinegrippentote zählender Journalist". Diese Graphik, zum Beispiel. Die Zahlen sagen nichts aus, ausser dass es eben die Anzahl Toter ist, die vom H1N1-Virus angesteckt waren. Drei solche sind zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz nachgewiesen. Dass als erstes ausgerechnet ein Baby starb, hat vor allem Schlagzeilen, aber wenig neue Informationen gebracht. Gemeinsam ist diesen Meldungen bisher, dass in diesen Artikeln, fast verschämt, erst am Schluss erwähnt wird, dass in allen Fällen noch weitere Faktoren im Spiel waren: Herzinsuffizienz, Diabetes, HIV. Das meine ich: Es wird in erster Linie gezählt, nicht informiert.
Frau Jäger hat bis jetzt einen Artikel über Schweinegrippe geschrieben. Er erscheint mir recht sachlich und ist auch nicht mit einer Horrormeldung aufgemacht. Wenn sie am Schluss des Artikels noch die Anzahl Todesfälle in Polen erwähnt, ist das ja alles andere als der Aufhänger und darum sicher nicht in meinem Sinne kritikabel. 
Zurück zum Twittern. Auch wenn das Netz allgegenwärtig, orts- und zeitlos erscheint; die Menschen sind es nicht. Meine Tweets und Blogartikel sind Schweizer oder sogar Berner Artikel. Und vor allem: Meine. Dies zu wissen ist gerade für den Twitter-Leser wichtig, denn in den 140-Zeichen Aeusserungen fehlen natürlich die erklärenden Links. Der Tweet basiert also z.B. auf dem Wissen, das ich zu diesem Zeitpunkt aus bernerzeitung.ch oder NZZ.ch habe. Das Ganze durch mein persönliches Empfinden ausgedrückt.
Warum hat also Frau Jäger meinen Tweet als Angriff auf sich empfunden? Und wie hat sie ihn überhaupt gefunden? Vielleicht erklärt sie mir das noch in einem Kommentar. Ich würde mich freuen!



2 Kommentare:

  1. Hallo,

    es ist das Wort "totschlagen", das so bitterböse Anklänge erweckt. Zu oft wurden und werden Menschen kurzerhand totgeschlagen, die eine andere Meinung oder Herkunft haben, auch und besonders Journalisten und Autoren. Das hat mit Satire nicht viel zu tun, es gehört eher zu den Dingen von denen unser Bundespräsident Horst Köhler sagte, es sei zu vielen Menschen das Gefühl abhanden gekommen "Das tut man nicht".

    Ich denke, wenn man publiziert, also selbst wenn man auf Twitter oder in einem Blog, einer Zeitung oder einem Buch etwas veröffentlicht, trägt man eine ganz besondere Verantwortung. Deshalb sollte sich nicht nur den Inhalt, sondern auch seine Wortwahl dreimal überlegen - auch zu Ungunsten einer peppigen Formulierung, die letztlich auch nur nach Quote schielt. Und genau daran gebrach es diesem Tweet.

    In disem Sinne
    Brigitte Jäger-Dabek

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  2. @ Brigitte
    Es ist schon klar, dass das Wort des deutschen Bundeskanzlers mehr zählt als jenes eines Bloggers oder Twitterers...

    Doch bedenken Sie, dass Tinus Tweet nicht von ungefährt kommt. Wir, stinknormale Medienkonsumenten, haben diese effektharscherische Berichterstattung satt, bei der nur die «geile» Schlagzeile zählt und alles andere ist dünner als jede Suppe.

    Schauen Sie sich den Link zum Artikel mit der Grafik an. Es beginnt mit dem Titel «Was Sie über die Schweinegrippe wissen müssen» und fährt sogleich fort mit einer eindrücklichen Europa-Grafik der Anzahl Opfer. Erst dann, ich wiederhole, erst dann kommt das, worauf der Titel bezug nimmt.

    Solches «Futter» bekommen wir leider allzu oft vorgesetzt. Da bleibt jede Verantwortung - vor allem gegenüber den Betroffenen - auf der Strecke. Es würde der Sache mehr dienen, wenn man - unaufgeregt - die Schicksale aufzeigt, die hinter diesen Zahlen stecken. Das rüttelt auf, damit nimmt man Verantwortung war.

    Was mich ob all' dem aber am meisten ärgert, ist, dass sich kein einziger Journalist von dieser Form der Berichterstattung distanziert...

    Irgendwann sind wir noch so weit, bis wir eine Bildstrecke mit den Verstorbenen zu sehen bekommen...

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