Angenommen, der Personalchef einer Grossmetzgerei läse im Arbeitszeugnis eines Bewerbers "... er war ehrlich bis auf die Knochen." Er würde wohl erst über diesen Metzger lachen, der wohl noch nie etwas von standardisierten Zeugnissen gehört hat und annehmen, dass es sich beim Bewerber um einen sehr vertrauenswürdigen Menschen handelt. Dies wäre die wohlwollende Interpretation. Es gibt aber auch eine schlecht wollende: Könnte "bis auf die Knochen" bedeuten, dass der Bewerber Knochen klaute? Dies würde eher gegen eine Einstellung sprechen.
Vieles, was jemand sagt, schreibt oder tut lässt sich so oder so verstehen. Eigentlich, so müsste man denken, sollte man jedem Menschen zuerst eine positive Interpretation zugestehen, bis er das Gegenteil beweist. Man gäbe ihn einen Vertrauensvorschuss. Ein solcher ist nötig, wenn man mit jemandem Kontakt aufnimmt, denn sonst ist die Kommunikation von Anfang an schwierig.
In meinen Augen läuft es in den so genannten sozialen Medien gerade in die Gegenrichtung. Ob Interview, Tweet oder Facebook-Eintrag, alles wird misstrauisch untersucht. Sobald sich etwas negativ interpretieren lässt - am liebsten sexistisch oder rassistisch - geht ein Shitstorm los. Es fehlt die wohlwollende Betrachtung, die den Betroffenen die Gelegenheit gäbe, ihre Aussage zu präzisieren und Missverständnisse auszuräumen. Ich befürchte, dass, wenn jede verunglückte Bemerkung einen solchen Lärm verursacht, die echten Skandale darin untergehen.
Wahre Worte, Tinu. Das mit dem Vertrauensvorschuss ist übrigens total altmodisch. Heutzutage wirst Du immer misstrauisch beäugt. Man geht davon aus, dass einem das Umfeld was Böses will.
AntwortenLöschenIch persönlich gehe immer davon aus, dass der Mensch grundsätzlich gut ist. In 99,9% aller Fälle bin ich nicht enttäuscht worden.